Sehnsucht ist des Menschen Fluch
und ewig stärker als die
Liebe,
denn
Liebe ist nur kaltes Tuch
auf dem heißen
Stein der Triebe.

Ahnenforscher NONSENS

Es soll vorkommen, das die Nachkommen mit dem Einkommen der Vorkommen nicht auskommen, nach Amerika kommen, dort erst durchkommen, dann verkommen und schließlich dennoch mit dem Einkommen der Vorkommen auskommen und letztendlich umkommen.

Der Ahnenforscher

Ein Mensch geht auf die 60 zu,
da lässt ihm eines keine Ruh':
er muss in alten Schriften kramen,
wo komm' ich her, wer war'n die Ahnen?
Er findet kaum des nachts ins Bett,
denn er sucht meist im Internet.

Auch tags geht weiter diese Hatz,
er surft sogar am Arbeitsplatz.
Dort geht man ihm sehr auf die Nerven,
dauernd stört man ihn beim Surfen.
Da sagt er sich: Das hat ein Ende,
ich geh einfach jetzt in Rente.

Nun hat er Zeit und kommt rasch weiter,
und der Erfolg, der stimmt ihn heiter.
Er stößt auf viele Hugenotten,
und das war'n keine Hottentotten,
er stößt auf viele Denker und auf Dichter,
auf viele nobele Gesichter,

darunter auch auf adlige Gestalten
er stößt sogar auf Fritz, den Alten!
Da fragt er sich: Ist das ein Witz?
Ich stamme ab vom alten Fritz?
Oder war's ein andrer Friederich?
Er hängt das erstmal niederich.

Fritz, Friedrich, Frieder? Alles Asche!
War's Friedel mit der leeren Tasche?
Er klopft aufs Portomonnaie sogleich
-nein, dafür bin ich doch zu reich!
Doch viele Fragen bleiben offen,
er muss auf neue Fakten hoffen.

Er sucht in Potsdam, Polen, Leipzig
das kostet Geld, er ist nicht geizig.
Schon öffnet sich ein neues Tor:
sehr häufig kommt ein Karl jetzt vor.
Das macht ihn nun doch sehr betroffen,
auf welchen Karl kann er denn hoffen?

Er fragt zum wiederholten Male:
War's Karl der Kühne, Karl der Kahle?
Vorm Spiegel prüft er die Erscheinung
und kommt ganz schnell zu dieser Meinung:
Karl der Kahle? Nein Bewahre!
Dafür hab ich zu viele Haare.

Vom kühnen Karl bin ich ein Sohn,
denn mutig war ich immer schon!
Der Spiegel bringt auch Ungemach,
und kritisch denkt er drüber nach:
bei grad einssiebzig könnt man meinen,
man stammt von Pippin dem Kleinen.

Doch dann ist er darauf gestoßen,
nach diesem kam's zu Karl dem Großen.
Noch ein Karl, und was für einer!
So einen Vorfahr'n hat wohl keiner.
Das ist ein Ahne, will er meinen.
Jetzt ist er voll mit sich im Reinen,

Ihn freu'n die Ehre und der Ruhm,
und weiter geht's ins Altertum.
Er landet bald bei den Germanen,
da gab es schon mal seinen Namen,
fast klang es wie bei diesem "Thor",
das kommt dem Forscher komisch vor.

Drum sucht er Römer, Griechen, Kreter,
gibt es vielleicht auch dort noch Väter?
Und er vereinnahmt frisch und froh
Demosthenes und Cicero.
Die sind als meine Ahnen recht,
denn reden kann ich auch nicht schlecht.

Bei den Hebräern gibt es Lücken,
kein neuer Fund will ihm mehr glücken!
Die ganze Forschung kommt ins Stocken,
nichts ist den Qumran-Urnen zu entlocken.
Doch, Lieber Forscher, bei dem Drang
ist mir um Folgendes nicht bang:

Ruhe wirst Du einst erst haben,
wenn Du den Noah ausgegraben,
den mit der Arche und den Tieren.
Willst Du mit dem Dich nachmals zieren
als Deinem allerletzten, höchsten Ahnen,
dann lieber Freund, muss ich Dich mahnen:

Ich sage Dir als Dein Berater:
der ist nicht nur von Dir der Vater!
Auf den kannst Du allein nicht hoffen,
die andern sind ja abgesoffen.
Von dem stammst Du und ich wir alle,
was gilt darum in diesem Falle?

Sind wir auch noch so viele Leute,
klar ist der Anfang, auch das Heute,
nur in der ziemlich breiten Mitte,
da fehlen viele Zwischenschritte.
Nach denen forsche tapfer weiter
und bleibe dabei immer heiter

und bleib trotz Aktenstaub gesund,
dann glückt Dir auch noch mancher Fund.
Bis wir den Noah einst begießen,
magst Du noch manche Lücke schließen.
Herdzigo

Etwas zum Nachdenken:

Herr Kreitlein ging, vor Jahren schon
mit fünfundsechzig in Pension;
aus Langeweile sah er drum,
sich bald nach einem Hobby um.
Hierbei geriet er irgendwie
an seine Ahnengalerie.
Das war was wirklich Interessantes,
was völlig Neues , Unbekanntes
und er beschloss sogleich, deswegen
sich einen Stammbaum anzulegen.

 Er stöberte in Stadtarchiven,
in Chroniken, in alten Briefen;
nahm sich bei manchem Dorfpastor
die dicken Kirchenbücher vor
und drang bei der Gelegenheit
weit, weit in die Vergangenheit.
 

Er fand zwei Schneider, einen Wirt,
vier Bauern, einen Schweinehirt,
je einen Küster, Müller, Bäcker,
drei Schmiede, einen Schieferdecker,
dann einen fürstlichen Lakai,
ein Postillion war auch dabei,
ein Vorfahr war sogar Minister,
zwei andere lebten als Magister,
dann gab es ein paar Grenadiere,
zwei Musikanten, zwei Barbiere,
drei Metzger, und im blinden Eifer,
fand er noch einen Scherenschleifer.

 Es war ein Baum mit vielen Zweigen,
von Nebentrieben ganz zu schweigen,
Herr Kreitlein brauchte viel Papier,
viel Tinte und Geduld dafür.
Er kam bis fünfzehnhundertneun,
doch dann schien es vorbei zu sein,
denn hier versiegten alle Quellen,
es war kein Ahn` mehr festzustellen.

D`rauf stieg Herr Kreitlein in den Zug,
der ihn ins ferne Hamburg trug,
zu Doktor Doktor Dusterwald,
der als ein Fachexperte galt.
Er bat ihn in bewegten Worten,
des Stammbaums Wurzelpfahl zu orten,
beziehungsweise jenen Mann,
mit dem die Reihe einst begann.

 Der Doktor lächelte jovial;
"Verehrtester, nun geh`n Sie mal,
in uns`ren weltbekannten Zoo,
gleich vornean, Abteilung zwo."
Herr Kreitlein fand dies sonderbar,
doch weil er schon in Hamburg war,
begab er sich am gleichen Tag
zu Hagenbeck, ihn traf der Schlag!
Da saß in seiner Käfig-Villa
ein Affe, nämlich ein Gorilla,
er blickte traurig und verwundert
in unser zwanzigstes Jahrhundert,
fing Läuse und verschlang Bananen,
Herr Kreitlein forscht nicht mehr nach Ahnen.

 (E.Finke)

Was schaugstn so traurig,
was findstn so schaurig?
Sag, woaßt du, mei Guater:
oa Vater, oa Muatter,
zwoa Opa, zwoa Oma
ham müassn zsammkomma,
und des no net gnua,
4Ur-, 8 Ur-Urgroßeltern dazua.

 Ganze Meter von Ahndln
ham müassn obandln,
damit daß am End na
grad du bist zstandkemma.
A Aufwand, a feiner,
aloa bloß zwengs deiner.
Drum schau net so zwider
und lach bittschön wieder!

Eine Feststellung

Wir haben's schwer
Denn wir wissen nur ungefähr,
woher,
jedoch die Frommen
wissen gar, wohin wir kommen!

Der Brunnengräber

Stich für Stich und Schicht um Schicht
fährt der Spaten in die Tiefe.
Von der Hacke vorgeschlagen
weicht der Boden, Erde, Steine,
fliegen auf im hohen Schwung.
Mannestief ist schon die Grube,
aller Aushub aus dem Schacht
wird in einem Ledereimer
mit der Kette aufgebracht,
als bei einem neuen Hube
zwischen Erde und Gestein
liegt Gebein.

Hier liegt einer frührer Zeiten,
liegt, als ob er ewig schliefe.
Von den Seinen hergetragen,
tief gebettete Gebeine,
zwingen zur Erinnerung:
Eines langen Lebens Tiefe,
tief verwurzelt im Geschlecht
derer, die noch vorher waren
in der Kette aufgereiht,
ruht nun nach der Last von Jahren
zwischen Letten, Kies und Ton
ewig schon.

Hat der Gräber eingehalten
ob dem ungeheuren Gast,
der mit erd'gen Augenhöhlen
seiner Seele Blicke fasst,
fragend nach Ermutigung.
"Einen Brunnen wollt ich graben
nach der Wünschelrute Zeig;
auf der Suche nach dem Wasser,
aus der Tiefe vieler Schichten
im Ergebnis meiner Müh'n
mir zu zieh'n".

Wie ein Wächter vor dem Tore
liegt der Freund vergangner Zeit.
Eine Hand weist wohl nach oben
hin in weite Ewigkeit,
wie ein Greifen nach dem Licht;
doch die Knochenhand zur Linken
hält in tiefren Schichten fest:
In Geschichten seiner Väter,
im Getriebe ihrer Zeit.
Wie ein Schlüssel steckt die Hand
tief im Sand.

Und der Gräber greift behutsam
dieses toten Freunds Gebein,
hebt's und bettet's bei der Linde
in des Stammes Boden ein.
Eingefahren in die Grube
und erneuernd Schlag auf Schlag,
hebt er mit dem Stein das Bette,
worauf lang der Alte lag.
Wie ein Tor führt's in die Tiefe,
drunter strömt des Lebens Quell
klar und hell.

Quelle: Manfred Thon